Roter Terror auf Lesbos

Veröffentlicht am 4. März 2023 um 21:20

Die Boote der griechischen Küstenfischer schaukeln in der leichten Dünung. Die meisten hätten schon lange einen neuen Anstrich nötig, aber auf Lesbos geht es gemütlich zu. Im Fischereihafen von Mytilene scheint buchstäblich die Zeit stehengeblieben zu sein. Das heißt, sie schiene stehengeblieben zu sein, wenn da nicht all die Migranten wären. Junge Afghanen und Syrer hauptsächlich, die in kleinen Gruppen herumlungern oder einzeln durch die Gassen schlurfen. Sie prägen inzwischen das Stadtbild mindestens ebenso sehr wie die einheimischen Ladenbesitzer, die tagein, tagaus auf Klappstühlen vor ihren oft winzigen Läden hocken. Immer ein freundliches Lächeln auf den von der Sonne gegerbten Gesichtern.

 

Eine Frau mittleren Alters winkt uns in ihren Laden. Sie spricht Hessisch wie eine Eingeborene von der Lahn. Dreißig Jahre hat sie in der Bundesrepublik gelebt. „Es ist schlimm, was zurzeit hier passiert,“ sagt sie und stemmt die Arme in die Hüften, als ob sie damit das Gesagte unterstreichen wolle. „Jeden Tag kommen neue Migranten auf die Insel.“ Sie und die anderen Insulaner seien nicht ausländerfeindlich, aber zu viele seien eben zu viele. Auch würde mittlerweile viel geklaut. Ein Problem, das es vorher auf Lesbos praktisch nicht gegeben habe.

 

Natürlich soll die Lesbierin, die uns so tapfer Rede und Antwort steht, nach allen Regeln der Kunst abgelichtet werden. Da ich von dieser Kunst nichts verstehe, nimmt Mario, mein Freund und Kollege, die dafür nötigen Einstellungen an seiner Kamera vor. Was das angeht, ist er Perfektionist. Es ist just in diesem Augenblick, dass wir eine Gruppe von Schwarzvermummten bemerken, die direkt auf uns zuhält. Manche tragen Motorradhelme, andere halten sie in der Hand. Dann das Klacken eines ausfahrenden Teleskopschlagstocks. Spätestens jetzt wissen wir, dass sie in dem Geschäft nichts kaufen möchten. Während zwei Fotojournalisten aus Österreich geistesgegenwärtig das viele Tausend Euro teure Equipment aus der Gefahrenzone tragen, springen Mario und ich auf die Straße, um den Überfall abzuwehren. Wir tänzeln vor und zurück, aber im Gegensatz zu Mario vernachlässige ich meine Deckung völlig, weil ich nur daran denke, Treffer zu landen. Das größte Problem ist die Überzahl der Gegner, nicht ihre Bewaffnung. Paukt man sich auf einen Kopf ein und wird die Person, zu der dieser unglückliche Kopf gehört, infolgedessen ein paar Meter zurückgedrängt, erhält man Faust- und Schlagstockhiebe von hinten oder von der Seite. Mindestens einmal trifft mich ein Motorradhelm am linken Auge, was ganz schön scheppert. Aber Schmerzen gibt es im Adrenalinrausch nicht. Kurz gehen Mario und ich zu Boden, dann sind wir wieder auf den Beinen. Auf den Überwachungskameras ist zu sehen, wie ich mehrfach mit einem Teleskopschlagstock am Kopf getroffen werde, aber von einer Platzwunde merke ich zunächst nichts. Da die beiden Österreicher nun in den Kampf eingreifen und wir uns um den Ladeneingang gruppieren, der gut zu verteidigen ist, zieht sich das Schlägerkommando der griechischen Antifa zurück.

 

Erst jetzt merke ich allmählich, dass das Blut pulsierend aus meinem Kopf hervorquillt. Ich taste nach dem Leck in meinem Schädel und stopfe es mit der flachen Hand. Fabian, einer der Österreicher, begutachtet derweil den Verbandskasten, den ein couragierter Ersthelfer herbeigeschafft hat. Er ist es auch, der mir den Kopfverband anlegt. Nachdem wir eine Zeitlang in Erwartung weiterer Angriffsversuche vor dem Ladeneingang gestanden haben, arbeitet sich ein junger bärtiger Grieche durch Menge von Schaulustigen und gibt sich als Zivilpolizist zu erkennen. Er ist sehr höflich und verlangt von uns, ihm zu folgen. Nun treffen auch nach und nach mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei vor Ort ein. Während Mario und die beiden Österreicher auf dem Polizeirevier zu Protokoll geben, was sich zugetragen hat, geht es für mich erst einmal ins Spital.

 

Verschiedene Zimmer gibt es in der Notaufnahme nicht, sondern nur Vorhänge, die die einzelnen Betten voneinander trennen. Es wimmelt auf diesen Krankenbetten nur so von Migranten. Griechische Patienten sehe ich nicht, dafür aber ein knappes Dutzend griechischer Krankenschwestern. Sie denken sich wohl: „Schon wieder ein Ausländer.“ Mir wird zu verstehen gegeben, ich solle mich auf ein Bett legen und oben herum frei machen. Mein tätowierter Oberkörper stößt bei allen Krankenschwestern auf reges Interesse, sogar bei denen, die sich eigentlich um andere Patienten zu kümmern haben. Vielleicht ist es noch das Adrenalin, das nachwirkt, jedenfalls verbringe ich in diesem Spital ein paar der glücklichsten Stunden meines Lebens. Selbst noch das Nähen meiner Kopfhaut bereitet mir das größte Vergnügen.

 

Ich bekomme ein Rezept für Penicillin und soll mir in einer Apotheke zeitnah eine Tetanusspritze in den Allerwertesten verpassen lassen. Dieses Prozedere kenne ich noch aus Lagos, Nigeria. Zunächst geht es aber auf die Polizeiwache, wo meine Freunde bereits alles zu Protokoll gegeben haben. Eine Polizistin legt mir ein Schriftstück auf Griechisch vor, das ich anstandslos unterschreibe. Alle sind bestens gelaunt und der Polizeihauptmann, ein hagerer Mann mit einer großen, geschwungenen Nase, fragt lachend, ob ich Boxer sei. Er habe ein Video gesehen, auf dem der Rothaarige und ich ordentlich gegen die Angreifer ausgeteilt hätten. Der Rothaarige, das ist Mario. Dazu führt sein Kollege, ein gemütlicher, leicht pummeliger Mann mit Vollbart, grinsend einen linken und einen rechten Haken aus.

 

Während der vielen Stunden, die wir auf der Wache zubringen, werden mehrere Orientalen in Handschellen vorgeführt, die offensichtlich mehr verbrochen haben, als illegal die Grenze zu übertreten. Einen Höhepunkt stellt der Besuch eines norwegischen Journalisten dar, der unserem gemütlichen Beamten allerlei dämliche Fragen stellt. Als er bereits im Begriff ist zu gehen, fällt ihm noch eine letzte dumme Frage ein: „Stimmt es, dass sich deutsche Neonazis auf der Insel aufhalten, um Flüchtlinge und Flüchtlingshelfer zu jagen?“ Er habe das im Internet gelesen. Unser gemütlicher Beamter schüttelt bedächtig den Kopf und wir werfen uns verstohlene Blicke zu. Kaum ist der Norweger aus der Tür, müssen wir leise kichern. Gelogen hat der Polizist nicht, denn wir sind weder Neonazis noch auf Safari.

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