So riecht der Krieg

Prigoschin putscht. Diese Nachricht verbreitet sich unter den ausländischen Freiwilligen der Internationalen Legion wie ein Lauffeuer. Fieberhaft verfolgen „Austrian“, „Niente“ und ich die neuesten Entwicklungen am Smartphone. Niente, den Spitznamen habe ich ihm verpasst, weil er gerne „Nichts“ heißen wollte, ist erst zwei Tage zuvor zur Gruppe gestoßen. Er ist nicht Italiener, sondern Grieche, aber sein Zwillingsbruder hört bereits auf den Namen „Greek“. Beide sind Ex-Fremdenlegionäre. Auch Austrian ist nicht ohne militärische Vorerfahrung. Er hat volles braunes Haar und einen gepflegten Schnauzbart. Zur Gruppe gehören außerdem ein dunkelblonder Schwede, ebenfalls mit Schnurrbart, ein Tscheche, dessen „Callsign“ selbstverständlich „Czech“ lautet, ein Amerikaner und ein ehemaliger britischer Offizier.

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Die Londoner Stadtmusikanten

Die niederländische Gendarmerie musste bei meiner Ausreise ins Vereinigte Königreich Berlin verständigen. Ich bin also nicht weiter überrascht, als ich beim Verlassen des Fliegers in London ein Begrüßungskomitee von vier Anzugsträgern erblicke. Eine hagere Brünette fragt nach ein paar Belanglosigkeiten, dann zückt ein untersetzter Mann um die fünfzig mit einer Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen einen Ausweis, räuspert sich und sagt beinahe feierlich: „We’re police, sir. Counter-Terrorism.“ Eine Anti-Terroreinheit also! Ich hatte zwar nicht mit Versicherungsvertretern gerechnet, aber dass die Briten mir eine Anti-Terroreinheit auf den Hals hetzen, kommt doch etwas unerwartet. Spätestens jetzt ist mir klar, was mir schon bei der Ausreise dämmerte: Meinen ursprünglichen Plan, mich als britischer Staatsbürger bei der Royal Navy zu bewerben, kann ich getrost ad acta legen. Jede Seite meines Schifferdienstbuches wird abfotografiert.

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Endlich Tellerwäscher!

Ich habe es geschafft. Ein Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen. Endlich bin ich Tellerwäscher! Und da kann es ja dann zur ersten Million nicht mehr weit sein. Aber Spaß beiseite: Als ich die ersten Teller mit der Handbrause vorspüle und den ersten festgetrockneten Käse von den Tabletts kratze, denke ich: „Warum möchte man was anderes sein als Tellerwäscher?“ Im Leben würde ich nicht mit dem Chef de Cuisine tauschen wollen. Auch nicht mit dem Sous Chef oder einem der anderen Köche und Küchenhilfen, die zig Rezepte im Kopf haben müssen. Erst recht nicht mit den Kellnern und den anderen Angehörigen der sogenannten schwarzen Brigade, die immer ein Lächeln für die Gäste parat haben müssen. Meine Visage interessiert hingegen niemanden. Ich kann nach Lust und Laune Grimassen schneiden – die ganze Nacht. Und, vielleicht am allerwichtigsten, ich habe meine Gedanken für mich und tausche nur meine reine Muskelkraft gegen den niederländischen Mindestlohn, denn meine Aufgabe ist einfach: Was das Wasser nicht schafft, schafft der Schwamm, was der Schwamm nicht schafft, schafft die Stahlwolle. Und was die Stahlwolle nicht schafft, das packt die Drahtbürste. Aber ich muss den Arsch wackeln lassen.

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Roter Terror auf Lesbos

Die Boote der griechischen Küstenfischer schaukeln in der leichten Dünung. Die meisten hätten schon lange einen neuen Anstrich nötig, aber auf Lesbos geht es gemütlich zu. Im Fischereihafen von Mytilene scheint buchstäblich die Zeit stehengeblieben zu sein. Das heißt, sie schiene stehengeblieben zu sein, wenn da nicht all die Migranten wären. Junge Afghanen und Syrer hauptsächlich, die in kleinen Gruppen herumlungern oder einzeln durch die Gassen schlurfen. Sie prägen inzwischen das Stadtbild mindestens ebenso sehr wie die einheimischen Ladenbesitzer, die tagein, tagaus auf Klappstühlen vor ihren oft winzigen Läden hocken. Immer ein freundliches Lächeln auf den von der Sonne gegerbten Gesichtern.

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Die Toten von Dison

„Come si dice in italiano?“, fragt Carmen (Name geändert) und zeigt dabei auf ein künstliches Feuer, das hinter uns raucht und knistert. Ich trinke einen Schluck Rotwein und stelle das Glas anschließend auf den kleinen runden Tisch zurück, wobei ich mich weit über den Rand des Whirlpools lehnen muss, in dem wir beide sitzen. Nach dieser kurzen Pause, die so künstlich ist wie das Feuer, antworte ich: „Fuoco.“ „Und der bestimmte Artikel?“, fragt sie. „Il fuoco.“ „Okay, eins zu null.“ Das soll ein Spiel werden und wer zuerst zehn Punkte hat, steigt als Sieger aus der Wanne.

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Wieder Wasser unterm Arsch

Ziemlich genau sechzig Minuten Fußmarsch sind es vom Bahnhof Gent-Dampoort bis zum Euro-Silo, wo gerade ein niederländisches Frachtschiff liegt, auf dem ich Heuer genommen habe. Auf diese Weise lerne ich auch die weniger schöne Seite dieser flandrischen Stadt kennen, die ich fünf Jahre zuvor mit einer englischen Kommilitonin besucht habe. Seither durfte Gent, dem im Mittelalter aufgrund des dort blühenden Tuchhandels eine überragende Bedeutung zukam, in keiner Aufzählung fehlen, wenn mich jemand nach meinen Lieblingsstädten fragte. Bewaffnet mit einem vollgestopften Seesack, Knut Hamsuns Landstreicherromanen und einem Laptop geht es an Bord. Geladen wird gerade Rapssaat, die für den Hafen Spijk in der niederländischen Provinz Gelderland bestimmt ist. Aufgrund des für Flandern und die Niederlande gleichermaßen typischen Sauwetters muss der Ladevorgang kurzzeitig unterbrochen werden. Mithilfe eines hydraulischen Hebewagens werden die Lukendeckel in Position gebracht, um die Fracht vor dem einsetzenden Starkregen zu schützen.

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Manege frei! Beim Wanderzirkus

Als ich das Gelände betrete, ist es zunächst der Schwager des Zirkusdirektors, dem ich über den Weg laufe. Die neun Monate alte Tochter neben sich im Kinderwagen, ist er gerade damit beschäftigt, einen Zirkuswagen zu streichen. Als ehemaliger Leichtmatrose gehe ich ihm ein wenig zur Hand. Schnell wird mir klar, dass unter Zirkusleuten ein ganz eigener Soziolekt gesprochen wird. Auf das Deklinieren von Substantiven wird durchweg verzichtet. Sie haben offenbar nur im Nominativ eine Existenzberechtigung. Allerdings wird der Numerus bei Wörtern im Plural durch die typischen Endungen markiert. Meine Frage, ob er ursprünglich aus Norddeutschland stamme, weil er häufig das Wörtchen „ne“ gebrauche, wo der Süddeutsche in der Regel „gell“ verwende, verneint er lachend: „Ich komme aus der Nähe von Stuttgart. ‚Ne‘, das isso bei die Zirkusleute. ‚Ne‘, das sagen wir alle.“ Ich bin verblüfft, dass trotz der Leonberger Heimat des 29-Jährigen keinerlei süddeutsche Sprachfärbung vorhanden ist, sondern die eigenwillige Grammatik der Zirkusleute mit einer sehr klaren, hochdeutschen Aussprache einhergeht. Manchmal wird zur Pluralbildung von Substantiven auch ein „S“ angehängt, wo laut Duden keines vorhanden ist. Beispiel: „Hast du schon Wasser bei die Hundes?“

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Mit dem 49. Infanteriebataillon an der Front

Lozova ist ein gottverlassener Ort in der Ostukraine. Seit die Stadt infolge des Krieges teilweise evakuiert wurde, wirken die trostlosen Plattenbauten geradezu gespenstisch. Die zahlreichen Krähen über der Geisterstadt, die wiederholt Ziel russischer Raketenangriffe war, lassen Mario und mich an Hitchcocks Vögel denken. Ein Gewitter bricht los. Wir stellen uns irgendwo unter. Ein vor Dreck starrender Straßenköter sucht neben uns Schutz vor dem strömenden Regen. Wir warten.

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Im Osten nichts Neues

Mit uns im Zug nach Przemyśl sitzt auch eine junge Frau aus der Ukraine. Einen Monat hat sie als Kriegsflüchtling in Bratislava, Prag und Breslau zugebracht. Jetzt möchte sie zurück nach Odessa, auch wenn dort von Zeit zu Zeit noch russische Raketen einschlagen. Sie fühle sich nur an einem Ort zuhause, und das sei nun einmal Odessa. Ihre Eltern wollten die Ukraine erst gar nicht verlassen. Sie leben in Mykolajiw. Als ich sie frage, ob man mit dem Zug nach Mykolajiw durchkomme, schüttelt sie den Kopf. Auf das Kopfschütteln folgt die pantomimische Darstellung einer Explosion. Sie deutet mit einigen Stichworten an, dass die Gleise ihres Wissens etwas abbekommen hätten. Dabei lacht sie. Der Krieg stumpft ab.

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In Europas letzter Diktatur

Auf dem Flug von Istanbul nach Minsk lese ich die letzten Seiten in Anthony Burgess’ Klassiker A Clockwork Orange. Viele Begriffe der darin verwendeten Kunstsprache „Nadsat“ werden sich in Weißrussland als durchaus nützliche Vokabeln erweisen. Neben mir im Flieger sitzen Richmond und Nixon aus Nigeria. Überhaupt ist das Flugzeug voller Schwarzafrikaner. Was sie ausgerechnet im kalten Minsk suchen, weiß der Teufel. Nixon und Richmond versichern mir zwar, sie seien Touristen, doch letzterer kramt immer wieder einen zerfledderten Zettel hervor, auf dem etwa handschriftlich notiert ist: „You work for XXX Company.“

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Durchs wilde Pakistan

Maria, Anfang dreißig, Spanierin, hockt im Frankfurter Flughafen auf der Polizeiwache und kann noch gar nicht so recht begreifen, wie es dazu gekommen ist. Ihr einziges Vergehen? Mit mir in den Urlaub fliegen zu wollen. Endlich händigt uns einer der Beamten wieder unsere Pässe aus. Einer Ausreise nach Pakistan stehe nichts im Weg. Maria ist noch immer ein wenig verwirrt und möchte wissen, ob sie nun jedes Mal mit so einer eingehenden Kontrolle rechnen müsse. „Nur wenn sie mit diesem Herrn reisen“, beruhigt sie der Polizist. Maria weiß noch nichts von meiner politischen Laufbahn. Ich hatte ihr fürs Erste nur gesagt, dass ich auch in der Skinheadszene sozialisiert worden sei. Dass die linke Skinheadszene in Barcelona und die Skinheadszene, von der ich sprach, zwei grundverschiedene Paar Stiefel sind, habe ich ihr bei den beiden Treffen vor unserem Urlaub nicht auf die Nase gebunden. Sie nimmt es erstaunlich locker. Trotzdem bestellt sie auf den Schock erst einmal ein Bier.

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Eskapaden am Zuckerhut

„Gibt es ein Problem, Señor?“, frage ich, als der spanische Grenzbeamte mit seinem Smartphone meine Flugtickets von Zürich über Madrid nach São Paulo abfotografiert, nachdem er sich zu einer kurzen Beratung mit Kollegen zurückgezogen hat. Es gebe kein Problem. Er wolle nur gerne wissen, welchem Zweck meine Reise diene. „Medida preventiva“, fügt er auf Spanisch hinzu. „So, so, ‚vorbeugende Maßnahme‘ also, denke ich“, stecke Pass und Flugtickets wieder ein, führe lässig zwei Finger der rechten Hand zum äußeren Rand der korrespondierenden Augenbraue und wünsche einen guten Tag.

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