Endlich Tellerwäscher!

Veröffentlicht am 23. April 2023 um 17:14

Ich habe es geschafft. Ein Kindheitstraum ist in Erfüllung gegangen. Endlich bin ich Tellerwäscher! Und da kann es ja dann zur ersten Million nicht mehr weit sein. Aber Spaß beiseite: Als ich die ersten Teller mit der Handbrause vorspüle und den ersten festgetrockneten Käse von den Tabletts kratze, denke ich: „Warum möchte man was anderes sein als Tellerwäscher?“ Im Leben würde ich nicht mit dem Chef de Cuisine tauschen wollen. Auch nicht mit dem Sous Chef oder einem der anderen Köche und Küchenhilfen, die zig Rezepte im Kopf haben müssen. Erst recht nicht mit den Kellnern und den anderen Angehörigen der sogenannten schwarzen Brigade, die immer ein Lächeln für die Gäste parat haben müssen. Meine Visage interessiert hingegen niemanden. Ich kann nach Lust und Laune Grimassen schneiden – die ganze Nacht. Und, vielleicht am allerwichtigsten, ich habe meine Gedanken für mich und tausche nur meine reine Muskelkraft gegen den niederländischen Mindestlohn, denn meine Aufgabe ist einfach: Was das Wasser nicht schafft, schafft der Schwamm, was der Schwamm nicht schafft, schafft die Stahlwolle. Und was die Stahlwolle nicht schafft, das packt die Drahtbürste. Aber ich muss den Arsch wackeln lassen.

 

Wenn ich zwischen fünf und sechs Uhr abends meinen Dienst antrete, sieht es in der Spülküche aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Töpfe, Schneebesen und Schöpfkellen aller Größen, Pfannen, Teller und Schüsseln jedweden Durchmessers und Soßenbehälter aller Kaliber stapeln sich auf den Regalen und bedecken zu einem großen Teil den Boden meiner Arbeitsstätte. Bin ich dann gegen neun Uhr einigermaßen mit diesen Hinterlassenschaften des Frühstücks und Mittagessens durch, treffen auf einen Schlag die Myriaden Teller, Brotkörbe und Fressnäpfe des Abendessens in der Spülküche ein. Und zwischendurch erklingen zuweilen Rufe nach poliertem Silberbesteck. „Poliert eure Messer selbst, ihr Sklaventreiber!“, denke ich dann – und antworte knapp: „Ja, kommt sofort!“ Machen, nicht motzen. Das habe ich nicht erst bei der Armee gelernt, sondern schon als „Stift“ in meiner Ausbildung zum Landschaftsgärtner. Ich weiß, dass ich jederzeit gehen kann. Ich habe auch keine Angst davor, auf der Straße zu landen. Immerhin kann ich ein bisschen Mundharmonika spielen und am Mittelmeer ist es schon warm. Aber ich will noch nicht gehen. Ich bleibe mindestens zwei oder drei Monate. Dann habe ich so viel Knete beisammen, dass ich mich wieder einen Monat lang ganz meinem Hobby widmen kann: dem Kriegs- und Krisenjournalismus.

 

Zusammen mit dem Geschirr des Abendessens treffen auch peu à peu die ersten Küchenutensilien ein: Töpfe, Gemüsehäcksler und schließlich Frittier-Pfannen. Das heißt, man macht dort langsam Feierabend. Licht am Ende des Tunnels, aber der Vorrat an schmutzigem Küchengerät scheint schier unerschöpflich. Wieder türmt sich das dreckige Zeug neben und hinter mir zu Bergen auf. Umzingelt von Blech und Porzellan, lasse ich weiter den Arsch wackeln, bis mir das Wasser in der Ritze kocht. Ab und zu vielleicht im Vorbeigehen ein Schluck Leitungswasser aus einem Messbecher, aber pausieren gibts nicht. Die Schichten dauern offiziell bis Mitternacht. Vor halb eins ist aber noch niemand aus der Spülküche gewackelt, habe ich mir sagen lassen. Und meistens dauert es bis zwei, manchmal sogar bis drei Uhr morgens, bis alle Gegenstände ordnungsgemäß in der Küche verstaut sind und die Arbeitsstätte wieder glänzt – vom Rinnstein bis zur Spülmaschine selbst. Wer ganz schlau ist, könnte zwar nach sechs Stunden eine kleine Pause einlegen, aber damit würde es sich die betreffende Person unweigerlich mit derjenigen Bedienung verscherzen, die den Laden abschließen muss. Und das ist jeden Tag eine andere. Möchte man also nicht mit der ganzen schwarzen Brigade auf Kriegsfuß stehen, spart man sich seine Pausen als Tellerwäscher lieber für den Feierabend auf.

 

Eine Schwarzafrikanerin namens Gabi hat mich eingelernt. Sie ist 32, aber sonst handelt es sich beim Personal – vom Chef de Cuisine abgesehen – durchweg um junge Leute zwischen 17 und Anfang 20. Meiner Freundin gegenüber, die mich mit meinem neuen Job aufzieht, äußere ich nur halb im Scherz die Vermutung, die meisten Angestellten in der Gastronomie stürben vor ihrem 25. Lebensjahr an einem Herzinfarkt. Oder verbrühen sie sich vielleicht die Hände? Gabi kennt bei der Wassertemperatur jedenfalls keine Kompromisse. Bei ihr gibt es nur ganz heiß. Ich versuche hingegen zwischen dem Sauberkeitsgrad der Bleche und dem Verbrennungsgrad der Hände abzuwägen. Immerhin wandert der Kram ja noch durch die Maschine. Joel Houghton (1850) und Josephine Cochrane (1886), den Erfindern der Geschirrspülmaschine sei Dank! Zwar wollte ich schon immer mal Tellerwäscher sein, jedenfalls seit der Lektüre von George Orwells autobiografischen Schilderungen Down and Out in Paris and London, aber ich freue mich auch darauf, es bald gewesen zu sein.

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